Die Corporate Architecture, oder zu Deutsch «Unternehmensarchitektur», ist als Bestandteil der Corporate Identity und letztendlich auch des Marketings für viele Firmen kaum greifbar. Online Marketing, Corporate Design, Customer Experience – diese Begriffe bzw. damit zusammenhängende Vorgänge gehören mittlerweile für die meisten Entscheider (im Marketing) zum Tagesgeschäft. Die Unternehmensarchitektur – zum Beispiel bei einer räumlichen Neugestaltung des Business – aktiv in entsprechende Prozesse der Kundengewinnung und –bindung einzubeziehen oder als Teil dieser zu sehen, wird jedoch oftmals als unnötig erachtet oder aufgrund mangelnder Kenntnisse gar nicht berücksichtigt.
Dabei liegen in einem solchen Vorgehen nicht nur generell sehr grosse Potenziale – unter anderem hinsichtlich der Markenstärkung – sondern zudem immense Alleinstellungschancen. Da die Vorzüge einer strategisch ausgerichteten Unternehmensarchitektur nach wie vor von vielen Betrieben nicht angenommen werden, haben einzelne Wettbewerber die Chance, sich diesbezüglich besonders gut zu positionieren. Was Corporate Architecture kann und worauf Sie bei der Umsetzung insbesondere achten müssen, lesen Sie in diesem Beitrag.
So kann Corporate Architecture wirken.
Die Wirkungsweisen der Unternehmensarchitektur bzw. die Möglichkeiten bei deren Umsetzung sind natürlich von Unternehmen zu Unternehmen und Branche zu Branche unterschiedlich. Am nachfolgenden (typischen) Beispiel ist die Wirkung und damit die Relevanz der Architektur sehr gut zu erkennen:
An einer Kreuzung, an der Sie jeden Tag vorbeifahren, entsteht ein Neubau. Sie wissen nicht, was da gebaut wird und haben auch keine Möglichkeit, anzuhalten und das Schild der Bauherren zu lesen. Trotzdem sind Sie sich ziemlich sicher: Hier wächst ein neues Autohaus aus dem Boden. Warum Sie das erahnen und damit am Ende sogar richtigliegen, können Sie nicht genau erklären. Das sagt Ihnen einfach Ihr Gefühl.
Diese Empfindung, das Gespür, welches Sie in diesem Augenblick haben, entsteht zu grossen Teilen durch die bei der Planung des Baus wahrscheinlich angenommenen Ansätze der Corporate Architecture. Die Designer/Architekten der hier vorliegenden Unternehmensbauart, haben dafür gesorgt, dass Sie allein bei einer schnellen äusseren Ansicht des Gebäudes Bezüge zu einer Branche und vielleicht sogar zu einer Marke herstellen können. Firmengebäude und Produkt passen zusammen, womit das Markenbild und der Wiedererkennungswert potenziell immens gestärkt werden.
Die strategische Unternehmensarchitektur hat eine lange Tradition.
Die Idee entstand im Zeitalter der Industrialisierung. Die grossen Unternehmensväter und Dynastie-Gründer wollten mit ihren Betrieben ein weithin sichtbares Signal nach aussen vermitteln: «Schaut hier, das sind wir!», lautete die Botschaft. Als Pionier galt die italienische Firma Olivetti, die mit ihren Schreibmaschinen weltberühmt wurde. Der Unternehmer Camillo Olivetti liess bereits 1938 in der italienischen Stadt Ivrea ein Gebäude erbauen, das – genau wie seine Schreibmaschinen – vollkommen der neuen Sachlichkeit entsprach. Olivetti-Maschinen waren schlicht und vernünftig, genau wie der Hauptsitz der Firma. Sein Verzicht auf historische architektonische Formen war ganz bewusst, da seine Kunden Vertrauen in die neuen Technologien bekommen sollten. Parallel dazu engagierte er sich in der sozialen Arbeit für seine Mitarbeiter – ähnlich wie es auch bei Krupp oder AEG ablief. Die Arbeiter-Wohnsiedlungen dieser grossen Unternehmen sollten hübsch und menschenfreundlich sein sowie eine wohlige Atmosphäre schaffen – trotz der praktisch vollkommenen Umschliessung industrieller Technik und der nicht selten harten tagtäglichen Fabrikarbeit.
Diese Signalwirkung wurde später vor allem bei Unternehmen eingesetzt, die mehrere Filialen besassen. Überall auf der Welt sollte der Kunde das Unternehmen schon von weitem an der Fassade erkennen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich diese Einstellung geändert. Corporate Architecture unterstreicht inzwischen auch den besonderen Charakter oder den Individualismus eines Betriebs. Ein in Szene gesetztes Gebäude wirkt wie ein Aushängeschild des Unternehmens bzw. der Organisation, die es beheimatet und ist damit (bis heute) einer der zentralen Faktoren der Firmenphilosophie und schliesslich der Corporate Identity.
Die Signalwirkung wird oft unterschätzt.
Eine Verbindung zwischen einer Marke und der Architektur oder dem Interior Design hat eine weitaus grössere Wirkung, als oftmals gedacht. Die entsprechende Signalwirkung wird immer noch häufig stark unterschätzt. Stellen Sie sich vor, Sie besuchen zum ersten Mal eine Anwaltskanzlei. Auf dem Boden liegen schwere Teppiche, an den Wänden stehen deckenhohe Eichenregale, gefüllt mit alten Büchern. Die Schreibtische sind wuchtig, die Stühle teuer und riesig. Sie werden sofort das Gefühl haben, in einer alteingesessenen Kanzlei zu sein. Vielleicht sehen die Räumlichkeiten aber auch ganz anders aus. Die Wände sind peppig bunt, es gibt Glaswände, die den freien Blick in die Besprechungsräume ermöglichen. Die Möbel stammen von italienischen Designern, Bücher sieht man kaum. Nun denken Sie wahrscheinlich, in einer jungen und «angesagten» Kanzlei zu Gast zu sein. Aber vielleicht liegen Sie auch vollkommen falsch mit Ihren Annahmen. Eventuell gehört die ehrwürdige Kanzlei einem jungen Anwalt, der alle Möbel vom zuvor dort ansässigen Anwaltsbüro übernommen hat. Und vielleicht gehört die Glaswand-Kanzlei einem alten und höchst erfahrenen Anwalt, der erst vor kurzem alles neu eingerichtet hat. Sie haben sich also geirrt! Und das alles «nur» wegen der Einrichtung. So intensiv kann das Interieur unsere Wahrnehmung und auch unsere Einstellung zu einem Betrieb beeinflussen.
Und entsprechende Eindrücke lassen sich natürlich leicht auch auf die generelle Architektur eines Betriebes übertragen. Es gibt hier faktisch kein eindeutiges Falsch und kein zweifelsfreies Richtig. Wichtig ist nur, dass die Signalwirkung die geschäftliche Intention des Unternehmens korrekt herausstellt und die jeweilige Zielgruppe optimal trifft.
Vertrauensbildung dank Unternehmensarchitektur.
Wie der Besuch in den imaginieren Rechtsanwaltskanzleien (hoffentlich) verdeutlicht hat, ist das äussere Erscheinungsbild eines Unternehmens bzw. die optimale Ausrichtung dessen ausgesprochen wichtig. Tatsächlich kann die Unternehmensarchitektur stark zur Vertrauensbildung zwischen Unternehmen und (potenziellen) Kunden beitragen. Denn der erste Eindruck zählt! Und dieser erste Eindruck sollte auf jeden Fall positiv ausfallen.
Wichtig dafür ist, ein harmonisches Zusammenspiel von Marke und Architektur zu schaffen. Im besten Fall entsteht eine Einheit aus Architektur, Innenarchitektur und Brand. Um genau das zu erreichen, müssen Gebäude – entgegen häufiger Annahmen – nicht einmal zwangsläufig neu errichtet werden. In vielen Fällen kann bereits eine Auffrischung der vorhandenen Substanz enorm profitabel sein.
Schaffen Sie es, Ihr Firmengebäude oder vielleicht mehrere Standorte Ihrer Handelskette so zu gestalten, dass diese Ihre Brand maximal widerspiegeln und dabei – wie auch Ihre Produkte bzw. Dienstleistungen sowie Ihre gesamte Unternehmensausrichtung – (konstant) hochwertig und einzigartig erscheinen, wird die Architektur zu einem weiteren signifikanten Qualitätsmerkmal. Sie kann den Vertrauensfaktor somit erheblich anheben und damit schliesslich auch langfristige Geschäftsbeziehungen und den Erhalt von kundenseitigen Fürsprechern begünstigen.
Was es an der Basis zu bedenken gilt?
Kunden oder Interessenten sollen sich in einem Betrieb bzw. um ein Unternehmen herum grundsätzlich erst einmal wohlfühlen. Um das zu erreichen, müssen Sie sich als Unternehmer ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie Ihre (potenziellen) Kunden ticken und was Sie jenen vermitteln möchten. Sicherlich wollen Sie aufzeigen, dass Sie stolz auf Ihre Firma und Ihre Leistungen sind und dass diese Sichtweise auch von Ihren Mitarbeitern getragen wird. Besonders wichtig ist jedoch, dass der Unternehmensgeist, die Corporate Identity, und das Kundenerlebnis eine positiv auf (potenzielle) Kunden wirkende Einheit bilden. Wenn sich dies in allen geschäftlichen Bereichen bestätigt, also ebenso in der Unternehmensarchitektur, ist der Erfolg zumeist nicht weit.
Die Signaletik – ein auf verschiedenen Ebenen sehr wichtiger Teil der Unternehmensarchitektur.
Die korrekte Annahme der Signaletik ist vor allem in grösseren Gebäudekomplexen sehr wichtig. Die zentrale Frage lautet hier oft: Wie findet der (potenzielle) Kunde den richtigen Weg? Die Ansätze der Signaletik kommen vor allem in Sicherheitsangelegenheiten zum Tragen und dort speziell bei der Aufstellung von Orientierungshilfen für Fluchtwege. Mithilfe einer entsprechenden architektonischen Ausrichtung können aber auch anderweitig wichtige Wege innerhalb weitläufiger Geschäftsräume und grosser Bürogebäude gekennzeichnet werden, womit sicherstellbar ist, dass sich kein (potenzieller) Kunde verläuft und am Ende vielleicht frustriert das Gebäude verlässt.
Derartige Leitsysteme werden individuell anhand der vorhandenen Problemstellungen und aktuellen Wünsche umgesetzt. Unabdingbar sind dabei – vor allem bei bestehenden Gebäuden – Analysen und Untersuchungen, die genau zeigen, in welche Richtung die Gäste des Hauses normalerweise als erstes blicken, welchen Aufzug sie bevorzugen und aus welcher Richtung sie überhaupt auf den Betrieb zugehen.
Wer für sein Startup eine mittelgrosse Bürofläche im 17. Stock eines riesigen Bürogebäudes am Rand einer Grossstadt mietet, wird sich auf jeden Fall die Frage stellen müssen: Wie finden mich meine Kunden überhaupt? Reicht ein Schild am Aufzug oder muss ich mir noch etwas anderes einfallen lassen? Nun können Sie dieses Büro selbstverständlich nicht ins Erdgeschoss verlegen und ihm eine individuelle Fassade verpassen. Die Ansätze der strategischen Unternehmensarchitektur bieten aber auch hier spezifische Möglichkeiten.